Spurgeons Blick auf Christus als den Gekreuzigten

Ohne Frage war Spurgeon in seiner Verkündigung und seinem Leben christuszentriert. In seinem christuszentrierten Sein stand dabei insbesondere das Kreuz im Fokus. Für ihn war alles Gerede über ein Leben, das sich um Jesus dreht, hinfällig, solange man sich das Bild von Christus unabhängig von seinem Kreuzeswerk zu machen versuchte. Denn sobald das Kreuz Christi nicht mehr im Zentrum steht, übersieht man das Entscheidende an Christus. So sagte Spurgeon einmal in einer Predigt: 

Die Lehre vom gekreuzigten Christus begleitet mich überall mit hin [. . .] Alles andere kann warten, aber diese eine Wahrheit muss mit einer Donnerstimme verkündigt werden. Andere mögen predigen, wie sie wollen, aber was diese Kanzel betrifft, so soll von ihr laut ertönen: ‚Mir aber sei es ferne, mich zu rühmen als nur des Kreuzes unseres Herrn Jesus Christus.‘ Einige mögen Christus fortwährend als ein Vorbild predigen, und andere mögen immer wieder über sein Kommen in Herrlichkeit Reden halten. Wir predigen zwar auch beides, aber hauptsächlich predigen wir den gekreuzigten Christus.

(C. H. Spurgeon, „The Blood Shed for Many“, in: The Metropolitan Tabernacle Pulpit Sermons (Bd. 33), London: Passmore & Alabaster, 1887, S. 374.)

Spurgeon hatte erkannt: Wenn wir verstehen wollen, wer Jesus Christus wirklich ist und was ihn zur bedeutendsten Person in der Weltgeschichte gemacht hat, dann müssen wir uns mit dem Werk Jesu am Kreuz auseinandersetzen. Denn es ist das Kreuz, das uns den deutlichsten Einblick in Christi Herrlichkeit und seine Errungenschaften gibt. Nirgends sonst zeigt sich uns die überraschende Schönheit und Herrlichkeit Gottes so wie im Kreuz, dessen war sich Spurgeon gewiss.

In den Predigten und Schriften Spurgeons sehen wir, dass das Kreuz das Herzstück und der Ausgangspunkt all seines Nachsinnens über Jesus Christus war. Er war davon überzeugt, dass das große Ziel eines jeden Predigers, Gott zu verherrlichen, in erster Linie dadurch erreicht wird, dass Christus — und zwar als der Gekreuzigte — verkündigt und gepredigt wird. Denn letztendlich gibt es nichts, was den Menschen so sehr zu Gott zieht, wie die Botschaft des Kreuzes.

Spurgeon wollte, dass nichts, aber auch gar nichts, diese kostbare Wahrheit des Kreuzes und Heilswerkes Jesu Christi aus seinem Denken, seiner Verkündung und seiner Arbeit als Pastor und Theologe verdrängte. Das Kreuz sollte für Spurgeon Richtschnur und Lotleine sein. Wie es Michael Reeves in seiner Biographie über Spurgeon bezeichnet, war das Kreuz die „Achse der Theologie Spurgeons“ (Michael Reeves, Spurgeon on the Christian Life: Alive in Christ, Wheaton: Crossway, 2018, Kindle Locations 1880). Das Kreuz war für Spurgeon der Schlüssel, um die Person Jesu, aber auch das christliche Leben, richtig verstehen zu können.

Es ging Spurgeon dabei nicht um theologische Wortspielereien, warum Christus zu predigen wichtiger sei, als einfach nur gesunde Lehre zu vermitteln. Nein, Spurgeon verkündigte Christus als Gekreuzigten, weil er davon überzeugt war, dass keine andere Botschaft — und kein bloßes Vermitteln von Theologie (so gesund und gut sie auch sein mag!) — in der Lage ist, die Herzen der Ungläubigen zu durchbrechen und aufzuweichen. Es ist allein diese Botschaft, die die geistlichen Augen seiner Zuhörer öffnen und sie zu Gott hinziehen kann! 

Die folgenden Worte aus einer Predigt über Joh 19,14, die den Titel „Ecce Rex“ (dt. „Siehe, euer König“) trägt, bringen diese Überzeugung sehr klar zum Ausdruck. Es ist schwer, es besser auf den Punkt zu bringen, als Spurgeon es in diesen Worten tut:

Christus, der Gekreuzigte, ist der Überwinder. Nicht in den Gewändern seiner Herrlichkeit unterwirft er sich das Herz, sondern in seinen Kleidern der Schmach. Nicht auf dem Thron sitzend, gewinnt er zuerst den Glauben und Zuneigung der Sünder, sondern als blutend, leidend und sterbend an ihrer Statt. ‚Es sei aber ferne von mir rühmen‘, sagt der Apostel, ‚denn allein von dem Kreuze unsers Herrn Jesu Christi‘; und obgleich jede Sache, die mit dem Heiland verknüpft ist, ihren Teil in unserer Predigt haben muß, so ist doch dies die Hauptsache. Das Versöhnungswerk Jesu ist das schwere Geschütz unserer Batterie. Das Kreuz ist der gewaltige Sturmbock, womit wir die ehernen Tore der Vorurteile und die eisernen Riegel der Hartnäckigkeit niederbrechen. Christus, der als Richter kommt, erschreckt, aber Christus, der Mann der Schmerzen, unterwirft. In der Dornenkrone ist eine königliche Macht, willige Untertänigkeit zu erzwingen, das Rohrzepter bricht die Herzen mehr als eine eiserne Rute, und das Spottgewand gebietet mehr Liebe als Cäsars kaiserlicher Purpur.

(C. H. Spurgeon, „Ecce Rex“, in: Die Botschaft des Heils (3. Jahrgang), Hamburg: Verlag Ludwig Koch, 1877, S. 441f.)

Weil Spurgeon davon überzeugt war, dass nichts so sehr den Sünder zur Umkehr bringen kann als die Verkündigung von Christus als dem Gekreuzigten, sah Spurgeon die Predigt und Verkündigung als die zentralen Mittel, um Menschen zur Bekehrung zu führen. Genau das lehrt ja auch Joh 12,32 (einer der Lieblingsverse von Spurgeon): „Und ich, wenn ich von der Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen“ (SCH2000). Wenn Christus erhöht wird, wird der Mensch zu ihm gezogen! In einer Predigt zu diesem Text stellt Spurgeon seinen Zuhörern die Frage: „Wie sollen Seelen eingenommen werden?“ Und gibt dann selbst die Antwort: 

„Wie werden die Seelen gefangen? Durch die Predigt von Christo. Predigt nur eine Predigt, die von Christo erfüllt ist, und werft sie unter die Versammlung, wie ihr ein Netz ins Meer werft.“

(C. H. Spurgeon, „Christi Erhöhung“, in: Worte des Heils, Basel: Verlag Jaeger & Kober, 1895, S. 196.)

Spurgeon hatte erkannt, dass die Herrlichkeit seines geliebten Erlösers nirgends so sehr erstrahlte wie am Kreuz. Und es ist diese Herrlichkeit des gekreuzigten Erlösers, die es vermag, das Herz von Sündern zu erobern. Deshalb war Spurgeons Theologie und Verkündigung nicht nur christus- sondern auch kreuzzentriert. 

(Dieser Artikel ist ein leicht überarbeiteter und gekürzter Auszug aus Kai Soltau, Ein Leben für Christus: C. H. Spurgeon, das bei Evangelium21 als Booklet erschienen ist und in gedruckter Form erworben oder auch kostenlos als PDF oder ePub heruntergeladen werden kann.)

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